Holocaust-Überlebende im Gespräch mit FWS-Schülern

Zwei Schulstunden völlige Stille in der vollbesetzten Aula der Friedrich-Wilhelm-Schule, konzentriert und gefesselt folgen die rund 150 Schülerinnen und Schüler der neunten und zehnte Klassen des Eschweger Gymnasiums dem Vortrag von Dr. Eva Umlauf. Mit ihrer Lebensgeschichte, die sie in ihrem Buch „Die Nummer auf deinem Unterarm ist blau wie deine Augen“ verarbeitet hat, zieht die Auschwitz-Überlebende die jungen Menschen in ihren Bann und erzeugt tiefe emotionale Betroffenheit.

Dr. Eva Umlauf erzählt von ihren Eltern, einer gut situierten jüdisch-assimilierten Familie, von ihrer Geburt in Novaky, einem Arbeitslager für Juden in der Slowakei, einem diktatorisch geführten Vasallenstaat von Nazi-Deutschland. Dort verbringt sie die ersten Monate ihres Lebens. „Du warst ein Zeichen des Lebens in Zeiten des Todes“, habe ihre Mutter zu ihr gesagt. Eine Hoffnung, dass das Leben weiter geht. Sehr beeindruckend und bedrückend: Eva Umlauf liest über ihre Ankunft im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 3. November 1944, sie berichtet von eisiger Kälte, Abgabe aller Kleider und des gesamten Besitzes, der entwürdigenden Durchsuchung aller Körperöffnungen, der Komplett-Rasur des ganzen Körpers und den dreckigen Häftlingslumpen.

Dieser Transport gelte in der Wissenschaft als „der glückliche Transport“: Er erreichte wegen eines Defektes der Lokomotive Auschwitz mit dreitägiger Verspätung und war dadurch der erste Zug, dessen Teilnehmer nicht direkt ins Gas gingen, weil die SS kurz zuvor angesichts der anrückenden Roten Armee die Anlagen demontiert hatte, um Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen.

A26959 ist die Nummer, die der Zweijährigen auf den Oberarm tätowiert wird, das Kleinkind kollabiert dabei. Diese Nummer, sagt Eva Umlauf, der Akt völliger Entmenschlichung, bis heute lesbar, symbolisiere für sie Verbundenheit mit ihrer Familie und ihren Leidensgenossen, sie stehe für Totenehrung und Lebensbejahung zugleich. Sie sei persönliches Mahnmal und Auftrag, Zeugnis abzulegen von den Ereignissen für eine bessere Zukunft. „Die jungen Leute sollen erfahren, was los war und was möglich ist“, erklärt Umlauf ihre Motivation.

Dr. Eva Umlauf wird 1942 unter der nationalsozialistischen Diktatur gebo-ren in einem Arbeitslager der Nationalsozialisten in der Slowakei, ihre ersten Lebensjahre verbringt sie nach der Deportation der jüdischen Familie im Vernichtungslager Ausschwitz-Birkenau. Dort wird sie nach der Ermordung des Vaters auf den Todesmärschen mit ihrer Mutter und ihrer kleinen, im Lager geborenen Schwester, im Januar 1945 befreit. Dr. Eva Umlauf ist somit eines der jüngsten Opfer und Überlebenden des Holocausts. Im Juni 1945 verlässt die Mutter mit zwei kleinen Kindern Auschwitz und baut sich mit ihren Kindern zunächst in der Slowakei ein neues Leben auf. Eva Umlauf zieht nach München, heiratet, wird Kinderärztin und bekommt drei Kinder. Bis heute ist für Eva Umlauf die Erinnerung an den Holocaust und der Umgang mit Antisemitismus zu einer wichtigen Lebensaufgabe geworden. Auf Lesungen und Vorträgen erzählt sie als „Zeitenzeugin“, wie sich selbst nennt, vor allem jüngeren Menschen ihre beeindruckende Geschichte.

Das gelingt ihr in der Aula der FWS in ganz besonderer Weise. Im Anschluss an den Vortrag haben die Schüler*innen viele Fragen. Sie möchten die Tätowierung sehen, fragen nach späteren Besuchen in Auschwitz, nach Reaktionen auf die Ankunft der Roten Armee in Auschwitz, nach persönlichen Prägungen durch die Zeit im Lager. Auch die aktuelle politische und gesellschaftliche Situation war Thema: Auf die Frage, ob sie heute noch Hass und Antisemitismus erlebe und Angst vor einer Wiederholung der damaligen Ereignisse habe, lautet die Antwort: „Oft und immer mehr.“ Aus einem „Nie wieder!“ sei mittlerweile eher ein „Immer wieder“ geworden, sagt sie mit Blick auf die Ermordung Hunderter Juden durch den Angriff der Terrororganisation Hamas in den letzten Tagen.

Die Fragerunde offenbart, dass die Emotionalität des Themas und die unmittelbare Erfahrbarkeit menschlichen Leids die Schüler*innen ergriffen hat – ein Vormittag, der allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.