Schulgeschichte

Teil 1: Schulgeschichte bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914

Klein und bescheiden sind die Anfänge, aus denen die jetzige Friedrich-Wilhelms-Schule zu Eschwege hervorgegangen ist; stetig fortschreitend hat sie sich weiterentwickelt, und, mit jenen Anfängen verglichen, ist es eine stattliche Zahl von Schülern, denen sie heute geistige Nahrung bietet…“.

So schreibt es der Geheime Studienrat und Schulleiter der FWS Edward Stendell in der Festschrift anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Schule im Jahr 1890. An „fortschreitender Weiterentwicklung“ hat es ihr auch in der Folgezeit nicht gemangelt. Die für die vorliegende Festschrift zusammengestellte Chronik der Friedrich-Wilhelm-Schule stellt den Versuch dar, einen groben Überblick über diese mannigfaltigen, von den jeweils herrschenden politischen und gesell- schaftlichen Bedingungen ausgelöste pädagogische und schulorganisatorische (Weiter-)entwicklung zu geben.

1527 Die im Jahre der Gründung der Landesuniversität in Marburg in Eschwege entstandene Lateinschule hätte den Beginn der Schulgeschichte der Friedrich- Wilhelm-Schule auf das Jahr 1527 festlegen können. Denn trotz Plünderung und Brandschatzung der Stadt durch kaiserliche Kroaten zu Ostern 1637 übersteht die Schule sogar die schreckliche Zeit des 30jährigen Krieges und führt 10 Jahre nach Kriegsende 216 Schüler in 6 Klassen. Den Anforderungen des heraufziehenden Industriezeitalters aber ist sie später in ihrer pädagogischen Einseitigkeit und inneren Erstarrung nicht mehr gewachsen und wird 1823 in eine Bürgerschule ohne Fremdsprachen umgewandelt.

1839 Der elementare Volksschulunterricht genügt nicht mehr allen Bürgern der Stadt. In der aufstrebenden Eschweger Bürgerschaft, unter Handwerksmeistern der prosperierenden Lohgerber- und Wollwebereien sowie den Beamten wird der Wunschnach einer über das Kleinbürgerliche hinausführenden Schulbildung für ihre Söhne immer lautstärker. 1839 bestimmt der kurhessische Ministerialbeschluss vom 6. Februar Eschwege neben anderen Städten als für die Einrichtung eines Progymnasiums geeignet.

Vor allem auf Betreiben von Bürgermeister Arnold geht der Antrag der Stadtverwaltung zur Gründung einer Realschule mit Fremdsprachen über den Regierungsvorschlag zur Schaffung einer Anstalt hinaus, die auf die Sexta und Quinta eines Gymnasiums vorbereitet. Ziel war, die Einrichtung einer Schule, „in der die Eschweger Söhne bis zum 14. Lebensjahr für das Gymnasium vorgebildet werden könnten“. Um auch den Wünschen nach einer stärker auf das praktische Leben bezogenen Bildung nachzukommen, wurde zudem die Einrichtung einer Realschule mit Fremdsprachen beantragt. Am 25. Januar 1840 verfügt die kur- hessische Regierung die Errichtung einer Realschule mit Progymnasium.

1840 Mit der feierlichen Einweihung beginnt die Geschichte der neuen Schule am 26. Oktober 1840 um 10:00 Uhr morgens. Die Casselsche Allgemeine Zeitung berichtet am 4. November darüber:

Eschwege, vom 27.Okt – Gestern fand hier die feierliche Einweihung der in Verbindung mit einem Progymnasium neu errichteten Realschule statt. Um 10 Uhr Morgens begaben sich die Geistlichen, die Lehrer der Knaben- und Mädchenschulen, die Staats- und städtischen Behörden, die Eltern der Schüler, sowie die Mitglieder des hiesigen Gesang=Vereins in den mit Laub- und Blumengewinden geschmückten Saal der hiesigen Bürgerschule, und nahmen daselbst die für sie bestimmten Plätze ein. Ein trefflich geleiteter Gesang empfing die hierauf eintretenden Lehrer mit ihren 53 Schülern der neu errichteten Anstalt. Nach Beendigung des Gesangs trat Hr. Metropolitan Hochuth hervor, um erhebende Worte zu der, von der Wichtigkeit des Festes erfüllten zahlreichen Versammlung zu sprechen. Die begeisternde Rede erweckte zunächst die frommen Gefühle, welche dieser Tag in den Herzen aller Anwesenden hervorruft, lenkte hierauf die Aufmerksamkeit auf den denkwürdigen Zeitabschnitt, welche die neue Anstalt in der Geschichte unserer Vaterstadt einnehmen werde, lieh‘ sodann der tief empfundene Dankbarkeit Ausdruck, wendete sich zuletzt, brüderliche Eintracht empfehlend, an die Schüler der neuen Anstalt (welche auch eine Anzahl israelitische Glaubensgenossen zählt), und schloß, nachdem noch zwei Verse besungen worden waren, in frommer Erhebung des Gemüths, mit dem Segen des Herrn.

Nachdem der Hr. Ortsvorstand einige, dem denkwürdigen Tage entsprechende Worte an die Herren Lehrer der neuen Anstalt gerichtet hatte, begaben sich diese mit den Schülern in die ebenfalls mit Laubwerk geschmückten drei Lehrzimmer, um die Klassifikation zu bewirken und den Stundenplan zu verkünden. Nachmittags um 1 Uhr veranlasste die Feier des Tages einen festlichen und heitern Tafelkreis, dem auch einige israelitische Bewohner mit ihrem Religionslehrer sich anschlossen. Zuerst wurde die Gesundheit Seiner Hoheit des Kurprinzen und Mitregenten, begleitet von den lebhaften und innigsten Wünschen der Versammlung, ausgebracht. Sodann erfolgte ein Toast auf das Wohl des durch Hebung und Belebung des Schulwesens so allgemein verehrten Herrn Ministers des Innern, Exzellenz; sowie der obern und untern Schulbehörden. Aber auch dem Stadtrathe und den Bürger-Ausschusse, welche eine Bildungs=Anstalt, wie die nunmehr in‘ Leben getretene, Als eine Grundbedingung der öffentlichen Wohlfahrt betrachteten, und deshalb schwere Opfer nicht scheueten, wurde ein herzliches Lebehoch gebracht. Sämmtliche Trinksprüche wurden in sinnreicher Anwendung auf die Feier des Tages mit Wort und Gesang begleitet. Der Faden der Unterhaltung blieb stets fest an den Gegenstand der Feier geknüpft; weshalb auch diejenigen, welche durch Beförderung des Schulwesens die geistige und sittliche Bildung im Vaterlande heben, rühmliche Erwähnung fanden, und hierbei auch innige Gefühle der Dankbarkeit, im Hinblick auf die in dieser Hinsicht so rühmliche Wirksamkeit des vortragenden Raths in dem kurfürstlichen Ministerium des Innern,Hrn.Regierungsrath Vollmar, Worten Raum gaben. Damit auch die Armen an der Freude Theil nehmen möchten, wurden Gaben für solche gesammelt.- Möge das neue Institut, welches wegen der über Erwarten eingetretenen Theilnahme, schon in seiner Entstehung eine Vermehrung des Lehrerpersonals erheischt, Glück und Segen bringen!

1866 Dass der hessische Kurfürst in der Auseinandersetzung zwischen Österreich und Preußen 1866 auf der falschen Seite stand, wirkt sich nach dem preußischen Sieg auch auf das Städtchen Eschwege aus.

Als Chef der II. Armee trägt übrigens der preußische Kronprinz und spätere Namenspatron der Schule Friedrich-Wilhelm wesentlich zum letztlich unerwarteten Sieg der Preußen bei Königgrätz bei und wird noch auf dem Schlachtfeld von seinem Vater mit dem Orden „Pour le mérite“ ausgezeichnet.

Die Zusammenlegung der hessischen Gebiete und ihre Eingliederung als preußische Provinz Hessen-Nassau in das Königreich Preußen im Jahr 1868 bringen für das Schulwesen bedeutsame Veränderungen. Während die kurhessische Realschule allgemeine und ethische Bildungsziele vermied und auf praktische Aufgaben konzentriert war, gehören diese Bildungsziele zur preußischen Ausgestaltung der Realschule. Deswegen wird der Realschulzweig in eine „Realschule 2. Ordnung“, d.h. zu einer vollgültigen Realanstalt umgewandelt – allerdings, abweichend von der Praxis in den alten preußischen Provinzen, ohne Latein. Die am 13. Mai 1867 verfasste Genehmigung dieser Organisationsänderung enthält die spitze Bemerkung der Regierung, dass „die [von den Eschwegern] gegen diesen [den Lateinunterricht] vorgebrachten Gründe eine völlige Unkenntnis des Einflusses, den die Beschäftigung mit den festen Formen der lateinischen Sprache auf die formale Geistesbildung ausübt, verraten.“

Im gleichen Zuge wird das Progymnasium um eine weitere Klasse, die Tertia aufgestockt, zwei Jahre später um die Abschlussklasse, die Untersekunda, die aber nur ein Jahr Bestand hat.
Nach fast drei Jahrzehnten ist die Entwicklung „zu einem staatlich anerkannten Ganzen gediehen“, und es wird die Errichtung eines Schulneubaus zur Unterbringung der stark angewachsenen Schülerschaft ins Auge gefasst.

1877 Im Aufschwung der Gründerjahre, nach dem Sieg über Frankreich und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 werden die Behelfszustände im Hochzeitshaus als immer unzureichender empfunden.

Am 9. Mai 1876 wird daher mit
dem Bau des immer wieder
hinausgeschobenen neuen
Schulhauses gegenüber dem
Hochzeitshaus begonnen, das
am 18. Oktober 1877 bezogen
wird. Die beherrschende Lage
mit herrlichem Blick über Stadt und Land sowie die licht- und luftdurchfluteten Räume beeindrucken. Am Abend der Einzugsfeierlichkeiten trifft aus der Privatkanzlei des Kronprinzen Friedrich Wilhelm die Nachricht ein, dass die Schule künftig den Namen des „besonders von der Jugend verehrten“ und „von allen deutschen Stämmen gefeierten und geliebten Kaisersohnes führen dürfe“.

1883 „Die sehr geringe Zahl an Realabiturienten ließ immer wieder Zweifel am Wert der Realabteilung für die Gesamtheit der Schule und auch für die Bürgerschaft aufkommen.“ Die Veränderung der Lehrpläne für Gymnasium und Realgymnasium im Jahr 1882 bietet die Möglichkeit, auf gemeinsamem Unterbau ein Progymnasium und ein Realprogymnasium zu errichten, welche ab Ostern 1883 beide mit verpflichtendem Lateinunterricht den Übergang in die Abschlussklassen der gymnasialen Vollanstalten ermöglichen sollen. Diese schulorganisatorische Umgestaltung erreicht im Jubiläumsjahr 1890 ihren vorläufigen Abschluss. Bereits 1897 läuft der realgymnasiale Zweig wieder aus und wird durch den seit 1892 entwickelten lateinlosen realen Zweig ersetzt.

1900 1897 macht der Stadtrat den ersten Vorstoß zur Entwicklung des Progymnasiums zu einem Vollgymnasium. Doch erst die Denkschrift des neuen Direktors Edward Stendell mit dem Titel „Über den Ausbau des Progymnasiums der Stadt Eschwege zu einem Vollgymnasium“ gibt im Jahr 1900 den entscheidenden Anstoß. Die Forderung aus den Kreisen der Fabrikanten, Beamten, Pfarrer und Lehrer, deren Söhne das Abitur nur in zum Teil mehr als 50 Kilometer entfernten Schulen ablegen konnten, sowie die erwartete Anziehungskraft auf Schüler aus dem Eschweger Umland sind zugkräftige Argumente. Der Eschweger Magistrat und die Stadtverordneten erklären sich zur Übernahme der Mehrkosten bereit, „gemäß dem laut werdenden Grundsatz: Auf dem Gebiete des Schulwesens darf nicht gespart werden.“ Mit Beginn des Schuljahres 1902 wird mit der Obersekunda die erste Klasse der dreijährigen Oberstufe eröffnet. Im Februar 1905 bestehen die ersten acht Eschweger Oberprimaner ihre Abiturprüfungen.

Aus Festschrift 100 Jahre FWS, S.7:

1911 Die Erwartungen, die sich mit dem Ausbau zur Vollanstalt verbunden hatten, gehen weitgehend in Erfüllung. Da auch die Realschule eine günstige Entwicklung nimmt, genügt nach nur rund drei Jahrzehnten das neue Schulgebäude

auf dem Schulberg den Raumansprüchen nicht mehr. Im Mai 1909 wird im ehemaligen Schlossgarten an der Bahnhofstraße damit begonnen, den von Professor Hugo Eberhardt aus Offenbach vorgelegten Entwurf für ein Schulgebäude nach dem neusten Stand umzusetzen.42.000 Mark kostet das Grundstück, 443.700 Mark das Gebäude. Die „schlichte Großlinigkeit des Äußeren“ wie auch die „ruhigen Formen im Inneren“ ergeben eine bescheiden vornehme Stimmung“.„Zur neuen Arbeit im neuen Schuljahr im neuen Heim den alten Gott, den alten Geist, das alte Glück!“ Mit diesem Wunsch eröffnete der Geheime Stu- dienrat und Direktor Edward Stendell das Schuljahr in dem am 19. und 20. April 1911 feierlich eingeweihten neuen Schulhaus.

1914 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbricht die positive innere und äußere Entwicklung der Schule jäh und belastet den Schulalltag:. Einberufungen von Lehrkräften und Ersatzunterricht bei reaktivierten Pensionären, Stundenausfall aufgrund von Sammlungen kriegswichtigen Materials, die Einquartierung der Schülerinnen des Lyzeums, Kohlenmangel, Hunger. 
Drei Lehrkräfte und 163 Schüler fallen dem Weltkrieg von 1914 bis 1918 zum Opfer. Bei der Gedenkveranstaltung für die Opfer des Krieges im November 1919 hält Direktor Stendell die Rede. Auf den beiden im Mai 1921 in der Aula enthüllten Holztafeln erinnern noch heute die Namen der Gefallenen an die Sinnlosigkeit des Krieges, darunter auch die Namen der beiden Söhne Stendells.

Teil 2: Vom Ende des 1. Weltkrieges bis zum „Fall Laterne“

1920 Der politische Wandel vom Kaiserreich zur ersten deutschen Demokratie bleibt auch für das Schulwesen nicht ohne Konsequenzen. Schon vor der im Juni 1920 in Berlin abgehaltenen Reichsschulkonferenz legt das neue Reichsgrundschulgesetz vom April 1920 die vierjährige Grundschule verbindlich fest. Damit fallen die privaten Vorschulen für spätere Gymnasiasten weg. Die im „Weimarer Schulkompromiss“ von 1919 einigermaßen befriedeten unterschiedlichen bildungspolitischen Vorstellungen der Parteien sorgen auch in Kollegium und Elternschaft der Friedrich-Wilhelm-Schule für intensive Diskussionen und eine Reihe von Reformen: Studientage im Rahmen des so genannten Arbeitsunterrichts, mit denen den Primanern am Samstag in längeren Unterrichtsblöcken selbstständiges, universitätsübliches Arbeiten ermöglicht wird, monatliche Wandertage, als Mittel, zur Gestaltung eines kameradschaftlichen Verhältnisses von Lehrern und Schülern und die Aufnahme von Mädchen in die Oberklassen, die sowohl durch Wohlverhalten als auch emsigen Fleiß auffielen und „die auf den in der Klasse herrschenden Ton einen guten Einfluss ausüben konnten“. Die heftigen Diskussionen über die Einheitsschule finden ein Ende mit der Ostern 1921 genehmigten Umwandlung zu Reformanstalt mit lateinloser Sexta und dem Abbau der Vorklassen. Aber bereits 1924 endet der begonnene Umbau durch die neuen „Richtlinien für die Lehrpläne an höheren Schulen Preußens“ wieder, und die einzige Möglichkeit besteht in der Entwicklung eines Reformrealgymnasiums. 1929 erfolgt demgemäß die erste Reifeprüfung des Reformrealgymnasiums und die letzte des Gymnasialkursus. Rückblickend wird diese unruhige Zeit in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum positiv bewertet: „So bewegt, zeitweise auch unsicher, die Jahre dieser Entwicklung auch waren, erfreulich ist der Rückblick auf sie trotzdem, weil sich in ihnen eine Teilnahme weiteste Kreise an der Weiterentwicklung der Schule kundtat, schließlich auch eine Opferbereitschaft, wie sie die Schule bis dahin nicht erlebt hatte.

1933 Die nationalsozialistische Machtergreifung wirkt sich unmittelbar auf die Friedrich-Wilhelm-Schule aus. Mit sofortiger Wirkung wird am 26. März 1933 der Schulleiter, Oberstudiendirektor Dr. Hoffmann, beurlaubt. Sein Nachfolger wird nach einigen Interimslösungen Studienrat Walter Drews, der am 1.8.1938 endgültig zum Leiter der Schule bestimmt und zum Oberstudiendirektor ernannt wird.

Neben zahlreichen Verän
derungen im Kollegium,
bedingt durch Pensionie
rungen oder vorzeitiges
Ausscheiden durch Krank
heit, vermerkt der Schulbericht in der Festschrift
zum einhundertjährigen
Bestehen ganz beiläufig,
„Studienrat Narewcze
witz, seit Ostern 30 an
der Anstalt, schied auf
Grund der Nürnberger
Gesetze im Oktober 35
aus.“ Weiter heißt es
nicht ohne Stolz: „Es
würde die Aufgabe dieses
Rückblicks überschreiten, von dem mit dem nationalsozialistischen Umbruch in das Anstaltsleben einziehenden neuen Geist zu sprechen. Selbstverständlich gehörten sehr bald sämtliche Schüler der HJ oder dem DJ an.“ Die Arbeitsgemeinschaften umfassen in jenen Jahren Angebote zu wehrsportlichen, flugwissenschaftlichen, geopolitischen und biologischen Themen, und die Schulleitung stellt mit Genugtuung fest, dass „sich eine große Reihe von Lehrern der Friedrich-Wilhelm-Schule lebhaft, zum Teil führend an der Arbeit der Partei und ihrer Organisationen“ beteiligt.

Wie sich die Nürnberger Gesetze auf die Schülerschaft auswirken, beschreibt Studienrat Otto Perst im Kapitel „Die Friedrich Wilhelm Schule in Zahlen“ in der 1940er Jubiläumsschrift. Nachdem die Einbußen in der Schülerschaft infolge der großen Wirtschaftsdepression in den 1920er Jahren durch die Veränderungen im Zuge der nationalsozialistische Machtergreifung bis 1935 ausgeglichen waren, sank die Schülerzahl zu Beginn des Jahres 1936 erneut unter die 300. Dass dies so war, „hat einen völkisch gesehen höchst erfreulichen Grund: auch der letzte jüdische Schüler wurde im Laufe dieses Jahres aus der Anstalt ausgeschieden, so dass diese deutsche Lebensfrage für unsere Schule frühzeitig und für immer beantwortet war.“

1937 Am 20. März 1937 erlässt das Reichserziehungsministerium „Übergangsbestimmungen zur Vereinheitlichung des höheren Schulwesens“. Damit soll die Vielfalt der höheren Schultypen auf drei Hauptformen, die Oberschule für Mädchen, die Oberschule für Jungen und das altsprachliche Gymnasium für Jungen reduziert werden.

Die Friedrich-Wilhelm-Schule beginnt Ostern 1937 mit dem Umbau in eine deutsche Oberschule für Jungen. Die Sexta (Jahrgangstufe 5) beginnt mit Englisch als erster Fremdsprache, Latein kommt in der Jahrgangsstufe 7 als zweite Fremdsprache hinzu, Französisch in der Obersekunda (Jahrgangsstufe 11). Ab Klasse 10 erfolgt eine Aufspaltung in einen sprachlichen und einen mathematisch – naturwissenschaftlichen Zweig. Die Sprachler lernen Englisch, Latein und Französisch, die Mathematiker lernen Englisch und Französisch mit vermindertem Stundenumfang unter Verzicht auf das Lateinische bei gleichzeitiger Stärkung der Fächer Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Musik und Zeichnen.

Ende November 1936 verfügt der Reichsbildungsminister, die Schulzeit von 13 auf 12 Jahre zu verkürzen. Die Begründung: „Die Durchführung des Vierjahresplanes sowie der Nachwuchsbedarf der Wehrmacht und akademischer Berufe erfordern es, die Verkürzung der Schulzeit … bereits von Ostern 1937 ab durchzuführen“.

An der Friedrich-Wilhelm-Schule können die Schüler, die 1937 aus der Obersekunda (Klasse 11) in die Unterprima (Klasse 12) versetzt werden, zu Ostern 1938 vorzeitig die Reifeprüfung ablegen.
Mit der Neuorganisation der Schule verbindet der pensionierte Studienrat Professor Ulrich und Autor des Rückblicks von 1840 bis 1940, die Hoffnung, dass die FWS „in ihrer neuen Gestaltung und Zielsetzung im Sinne des Führers sich bewähren möge als Bildnerin unserer Jugend zu gesunden, charaktervollen und zu führenden Stellungen geistig vorgebildeten deutschen Männern.“

1939 Die ersten Kriegsjahre bringen nur wenige Beeinträchtigungen des Schulbetriebs, lediglich der Einsatz der Schüler bei Erntehilfsdiensten verursacht Störungen. Die Einberufung von Lehrkräften wird zunächst durch pensionierte Kollegen ausgeglichen. Mit Fortschreiten des Krieges nehmen jedoch die Einberufungen einen Umfang an, „daß bald alle vier Wochen neue Unterrichts- und Stundenpläne aufgestellt werden mußten.“

Nach der Requirierung der Leuchtbergschule für Lazarettzwecke werden auch die Mädchen des Realgymnasiums in der Friedrich-Wilhelm-Schule unterrichtet. Man muss zwar zusammenrücken, aber so können die Lehrerinnen der Leuchtbergschule im Unterricht für die Friedrich-Wilhelm- Schüler eingesetzt werden, wodurch wenigstens der Unterausfall in den Hauptfächern in Grenzen gehalten werden kann.
Gelegentlich kommt der Krieg dem sonst der Front so fernen Städtchen Eschwege sehr nahe. Fliegeralarm!
Studienrat Moritz Kraft, der die Schule seit der Einberufung von Oberstudiendirektor Drews leitet, schreibt in der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum: „Weil es oft blinden Alarm gab, war ich einmal mit meiner Klasse oben geblieben und trieb Latein – ja, so etwas gab es zu der Zeit auch. Plötzlich zeigte ein Schüler runter ins Tal auf Grebendorf, wo feindliche Flugzeuge entlang der Bahnstrecke zum Flugplatz flogen. So schnell hatten die Jungen die Klasse noch niemals verlassen, und ich habe nie wieder bei Fliegeralarm unterrichtet…“
1944 wird der Nordflügel des Gebäudes durch die Wehrmacht für Heereszwecke beschlagnahmt und der Unterrichtsbetrieb muss auf die Nachmittage ausgedehnt werden. Zudem wird Unterricht in Wirtshaussälen der Stadt abgehalten, das Direktorenzimmer wird ins Rathaus ausgelagert.

1945 Bei Kriegsende bringen zurückflutende Truppenteile, Flüchtlinge und Fremdarbeiter, die in der Schule Quartier beziehen jeglichen Unterrichtsbetrieb zum Erliegen. Dem mit der Schulleitung beauftragten Studienrat Moritz Kraft gelingt es, einige wichtige Akten und die alte 1848er Turnerfahne mit nach Hause zu nehmen. Viele Einrichtungsgegenstände und die Flügel der Aula werden gestohlen, die Orgel auf der Aulaempore wird zerstört.

Als man gerade daran geht, die Schule wieder für den Unterrichtsbetrieb benutzbar zu machen, trifft die nächste Hiobsbotschaft ein. Innerhalb von zwei Stunden ist die Schule zu räumen, um als Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte im Raum Eschwege zu dienen. Zwei Jahre lang dürfen Lehrer und Schüler die Schule nicht betreten.

1948 In der Zeit des großen Bildungshungers nach dem Krieg entwickelt sich die Friedrich-Wilhelm-Schule zu einem Kulturzentrum beim Neuanfang der Stadt Eschwege. 1948 werden die „Veranstaltungen der Friedrich-Wilhelm-Schule“ ins Leben gerufen, die sich, wie der Schulbericht festhält, „eines regen Besuches erfreuten“ .

Auch außerhalb der Veranstaltungsreihe in der Aula engagieren sich Mitglieder des Kollegiums im kulturellen Leben der Stadt. So geht die Gründung der Volkshochschule im Frühjahr 1948 ganz wesentlich auf die Initiative des Schulleiters Dr. Mohr zurück, der der erste Leiter der Volkshochschule wird.

Nach der Gründung des Eschweger Kulturbundes im Sommer 1953 tritt die Schule mit Schulfesten und Laienspielaufführungen in die Öffentlichkeit. Das herausragende Ereignis im Jahr 1957 sind die Karl-May-Spiele am Leuchtberg. Erich Samson (UIa) als Winnetou und Gunhild Böhlhoff (UIs) als Nscho-tschi gehören zu den 200 Mitwirkenden, die unter der technischen Leitung von Studienrat Karl Trümpler und unter der Regie von Studienrat Dr. Erwin Katschinski die rund 3000 Besucher begeistern. In wochenlanger Arbeit muss zunächst die Waldbühne am Leuchtberg für die Generalprobe hergerichtet werden, an der 2400 Eschweger Schüler als Zuschauer teilnehmen. Der Erfolg der Premierenvorstellung ist ungeheuer, überregionale Zeitungen wie das Darmstädter Echo berichten und das Hessische Fernsehen tritt mit der Bitte an die Schule heran, das Stück ein weiteres Mal für eine Aufzeichnung aufzuführen. Eine Sensation zu dieser Zeit.

1950 Im Bestreben, die Lehren aus der politischen Katastrophe der Nazi-Zeit zu ziehen, unterhalten die amerikanischen Besatzungstruppen im Keller der Friedrich-Wilhelm-Schule einen Jugendclub (German Youth Activity), sollen Schüler durch sinnvolle Freizeitbeschäftigung für die Ideen der freiheitlichen Demokratie interessiert werden.

Am 14. Januar 1950 spricht 
Mr. McCoy von der
Education Branch beim
amerikanischen Hochkommissar in Wiesbaden zu den 
Eschweger Lehrern und 
Schulelternbeiräten in der
 Friedrich-Wilhelm-Schule. Er 
stellt das in Amerika selbstverständliche System der
 Schülermitverwaltung vor und wirbt für die Übertragung von Verantwortung auf demokratisch gewählte Schülervertreter bei der Lösung bestimmter Gemeinschaftsaufgaben.

15 Jahre später schreibt der Schüler der OIIs (Klasse11), Christian Sprung, zum 125-jährigen Schuljubiläum: „Im Grunde genommen ist es der Versuch, die Schule zu demokratisieren, das heißt, das „Volk“ der Schüler auf irgendeine Art am Leben ihres „Betriebes“ zu beteiligen. .. Nach den Schrecken des totalitären Staates war einer demokratischen Einrichtung wie der SMV ein erfolgreicher Start von vornherein gewiß, wenn auch mancher Lehrer durch diese „Spielerei“ eine Verschlechterung des Arbeitsklimas erwartet haben mag. Aber im Laufe der 15 vergangenen Jahre haben sich die Meinungen geändert.“

Nicht nur die Jugend findet Gefallen an den demokratischen Freiheiten. Im Januar 1950 fordern die Elternbeiräte in einer Elternversammlung eine landesweite Organisation der Elternbeiräte und rügen den Kultusminister, der eine von ihnen vorgebrachte Eingabe noch immer nicht beantwortet hat.

Wie ernst die Schule die „sozialkundliche und politische Erziehung“ nimmt, belegen die Schulberichte aus den frühen fünfziger Jahren. Da finden sich Eintragungen wie:

  • Besuch der Ausstellung „Europa ruft“,
  • Besuch der Diskussionsveranstaltung zum Thema „Deutschland zwischen 
Ost und West“
  • Vortrag des Chefredakteurs Kluthe über „Jugend und Politik“
  • Vortrag des Abgeordneten Euler über „die Montanunion“
  • Vortragsveranstaltung über „die Gründe des militärisch-politischen 
Zusammenbruchs am Ende des Zweiten Weltkriegs“
  • Filmvorführung „ein Deutschland – ein Europa“
  • Filmvorführung „Technik der Wahlen in England und USA“
  • Arbeitstagung der Schülermitverwaltung Nordhessens usw.

1964 Das Ziel der Klassenfahrt der Unterprima im Jahr 1963 ist Berlin. In den Jahren der deutsch-deutschen Teilung ist der Besuch der geteilten Hauptstadt Pflichtbestandteil des Fahrtenplanes. Die Schüler sollen damit zur Ausein- andersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte motiviert werden. Obwohl eine ganz normale Klassenfahrt, wird diese Reise vieles verändern. 
Die Schüler besuchen das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, selbst ehemaliger Friedrich-Wilhelm-Schüler. Hochhuth klagt in seinem Stück den Papst an, der während des Dritten Reiches von der Judenverfolgung gewusst, aber nichts dagegen unternommen habe. 
Zurück in Eschwege fällt dem Fahrtteilnehmer und Schulsprecher Jörg Scholz die Aufgabe zu, am Schulelternabend Eltern und Kollegium den üblichen Reisebericht vorzutragen. Schulleiter Dr. Hildebrand nimmt im Text des Schülers einige Streichungen vor, weil er der Ansicht ist, dass die Gefühle der katholischen Eltern durch die Passagen über den „Stellvertreter“ verletzt werden könnten. Scholz wertet die „Korrekturen“ als Zensur und weigert sich, den gekürzten Text als seinen eigenen auszugeben und vorzutragen. Stattdessen veröffentlicht die Redaktion der Schülerzeitung LATERNE den originalen und den zensierten Text zusammen mit einer Schülerzeichnung des FWS-Schulgebäudes und der provokanten Überschrift: “Wo hält sich in diesem Gebäude die Meinungsfreiheit versteckt?“ 
Aus dem Bericht über eine Klassenfahrt entwickelt sich ein grundsätzlicher Streit um die Meinungsfreiheit, der weit über die Grenzen Eschweges hinaus hohe Wellen schlägt. Neben den beiden Eschweger Tageszeitungen, Werra-Rundschau und Hessische Allgemeine, beschäftigen sich auch die Fuldaer Zeitung, das Darmstädter Echo und die Frankfurter Allgemeine sowie die Satire-Zeitschrift PARDON mit dem „Fall Laterne“. Die Politiker Heinz Herbert Karry (FDP-Fraktion im hessischen Landtag)) und der Landrat des Kreises, Eitel O. Höhne, zeigen Verständnis für die Forderungen der Schüler nach Pressefreiheit für ihre Zeitung, und Kultusminister Dr. Schütte beendet schließlich am 1. September 1964 auf dem Erlasswege den Streit. 
Das vom Direktor erlassene Verkaufsverbot wird dadurch aufgehoben, dass der Erlass eine klare Trennung zwischen Schulzeitungen und Schülerzeitungen formuliert. Verantwortlich für die Inhalte von Schülerzeitungen sind allein ihre Redakteure bzw. deren Erziehungsberechtigte. 
Mit beträchtlicher Courage erstreiten so die Friedrich-Wilhelm-Schüler die erste gesetzliche Regelung bezüglich der Pressefreiheit in Schulen in der Bundesrepublik.

Teil 3: Von 1965 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts

1965 Schulfeste haben in der Geschichte der Friedrich-Wilhelm-Schule eine lange Tradition und wurden zu allen Zeiten als Gelegenheit genutzt, die in alle Welt verstreuten Ehemaligen zum Besuch ihrer „alte Penne“ einzuladen. Eine ganze Reihe von Veranstaltungen begleiten das 125-jährige Schuljubiläum, und der Vorsitzende der Vereinigung ehemaliger Friedrich-Wilhelm-Schüler, Kurt Holzapfel, begrüßt bei einem Empfang im Hotel National sogar ehemalige Pennäler aus Afrika, Asien und Amerika.

Der neue Schulleiter, Oberstudiendirektor Dr. Erich Hildebrand, seit 1962 Nachfolger von Dr. Lüdecke, unternimmt in seinem Festschriftartikel „Die heutige Höhere Schule“ eine Bestandsaufnahme der pädagogischen Situation. „Wir wissen als Lehrer an der heutigen Höheren Schule wohl noch deutlicher als die Pädagogen früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte, daß die Schule sich mit den Zeitverhältnissen ändern muß, daß sie nicht für eine zeitlose Bildung und Gelehrsamkeit an sich da ist, sondern einem Bildungsauftrag entsprechen muß, den das Leben selbst gibt.“

Die Notwenigkeit das Wandels der Höheren Schule ist erkannt, aber es ahnt niemand, wie umfangreich und vor allem wie schnell der Wandel in den nächsten Jahren vor sich gehen wird.
 Jubilare erhalten Geschenke. So auch die alte FWS. Mit finanzieller Unterstützung durch den Elternbeirat schafft der Kunsterzieher, Studienrat GüntherSchaumberg, ein Kupferrelief zum Gedenken an die gefallenen Schüler und Ehemaligen der beiden Weltkriege, das im Rahmen der Festlichkeiten feierlich enthüllt wird und noch heute den Aulavorraum schmückt. Die Ehemali- gen-Vereinigung schenkt der Schule eine neue Schulfahne als Ersatz für die 1945 in den Wirren desZusammenbruchs verloren gegangene alte Fahne. Sie ist alljährlich zu bewundern, wenn sie im Johannisfestumzug von den Schülerinnen und Schülern voran durch die Stadt getragen wird.

1968 Gegen Ende der Sechzigerjahre gerät das Gymnasium in seiner bisherigen Form in die Diskussion. Die bildungspolitischen Auseinandersetzungen erfassen weite Teile der Gesellschaft. Zunächst geht es um die Förderstufe Die Frage lautet, welche Vorteile eine längere gemeinsame Erziehung aller Kinder gegenüber der Einteilung in das dreigliedrige Schulsystem nach dem Ende der vierten Grundschulklasse bringt. Die anschließende Debatte, ob das dreigliedrige Schulsystem generell durch eine alle Schulformen integrierende Gesamtschule ersetzt werden solle, erregt auch die Gemüter der Friedrich-Wilhelm-Schule.

Am 15. Mai 1968 erscheint die Staatssekretärin des hessischen Kultusministeriums, Frau Dr. Hamm-Brücher, zu einem Informations- und Ausspracheabend. Ihre Behauptung, das traditionelle Gymnasium sei „Opas Schule“ erregt bei dieser Veranstaltung erheblichen Widerspruch. Schulleiter Dr. Hildebrand und Staatssekretärin Hamm-Brücher einigen sich schließlich darauf, dass „Förderstufe und Gesamtschule nicht aufgezwungen, sondern erst in Modell-Fällen erprobt werden sollten.“
Zeitgleich mit dieser Diskussion erhalten Bestrebungen zur Umgestaltung der gymnasialen Oberstufe immer mehr Unterstützung. Die Kollegien beider Eschweger Gymnasien, Friedrich-Wilhelm-Schule und Leuchtbergschule, halten gemeinsame Konferenzen zur Vorbereitung solcher Reformen ab.

1971 „Mach ma‘ Platz“, ist nach Wiederaufnahme des Schulbetriebes im Jahre 1947 in den Sexten und Quinten der Friedrich-Wilhelm-Schule eine häufig gebrauchte Aufforderung, wenn sich bis zu 57 Schüler einen Klassenraum teilen, der heute mit 30 Kindern als hoffnungslos überbelegt erscheint.

Lange Bankreihen in den unteren Klassen machen es möglich. Doch bereits 1950müssen 13 Schüler wegen Raummangels an das Lyzeum verwiesen werden. Denkschriften des Schulleiters und mündliche Vorsprache beim Schulträger, der Stadt Eschwege, bewirken, dass 1965 mit dem Bau zweier so genannter. „Behelfsklassen“ auf dem Schulhof begonnen wird, um die insgesamt stark angewachsene Schülerzahl unterzubringen. Nichts hält bekanntllich länger als ein Provisorium, und so stehen die bald euphemistisch „Pavillons“ genannten Behelfs
klassen 50 Jahre später immer
noch.

Doch die Entlastung ist nur
vorübergehend. Steigende
Schülerzahlen erzwingen die
Einrichtung von „Wanderklassen“, die die Unterrichts-
räume jener Klassen nutzen,
die gerade in Fachräumen unterrichtet werden. 1971 erfolgt
der ersehnte Anbau von 4
Klassenräumen an den zur
Sparkasse gelegenen Seiten
flügel. Die Situation entspannt sich, das Thema Raumnot ist für die Schule aber längst nicht erledigt.

1974 Zum Beginn des Schuljahres 1973/74 lenken ca. 160 FWS-Schüler nicht wie üblich ihre Schritte in die Bahnhof- und Friedrich-Wilhelm-Straße sondern streben zum neu errichteten Gebäude des Oberstufengymnasiums am Südring. Sein erster Leiter ist der FWS-Kollege Heinrich Kaiser.Die zuvor skizzierten schulpolitischen Diskussionen der 1960er Jahre konkretisieren sich zu Beginn der 1970er-Jahre in Form der Einrichtung von Gesamtschulen und der ngO, der neugestalteten Oberstufe.

An Stelle der Fortführung des Unterrichtes in aus der Mittelstufe erwachsende, in sprachliche und mathematische Abteilungen unterteilte Klassen, tritt das in Leistungs- und Grundkurse differenzierte Angebot der reformierten Oberstufe, Schüler können bestimmte Fächer abwählen und in anderen Fächern Schwerpunkte bilden.

Die Schulaufsichtsbehörden legen vor dem Hintergrund der bildungspolitischen Diskussionen der letzten Jahre fest, dass die neugestaltete Oberstufe weder an der Leuchtbergschule noch an der Friedrich-Wilhelm-Schule untergebracht werden kann, sondern in einem neu zu gründenden Oberstufengymnasium mit eigenem Schulgebäude einzurichten ist.

In der handschriftlich geführten Chronik der Friedrich-Wilhelm-Schule vermerkt die Sekretärin, Frau Elfriede Karp, unter dem Datum des 20.8.1972:
„20.8.1972, 8 Uhr Wiederbeginn des Unterrichts.

Das Ende dieses Schuljahres ist gleichzeitig auch das Ende der Friedrich-Wilhelm-Schule als Gymnasium. Mit Beginn des neuen Schuljahres werden die Klassen 11 bis 13 dem neuen Oberstufengymnasium überwiesen.“

Ganz so dramatisch wie von Frau Karp dokumentiert, ist die Situation nicht. Die Friedrich-Wilhelm-Schule bleibt Gymnasium, allerdings – nach rund 70 Jahren als „Vollanstalt“ – nur „Rumpfgymnasium“.
Und dabei kommt, langfristig gesehen, die Friedrich-Wilhelm-Schule noch ganz glimpflich davon. Von der Leuchtbergschule wird wenige Jahre später bei der Umgestaltung der Eschweger Schullandschaft nicht einmal dieser Rumpf bestehen bleiben.

1986 Am 18. November 1985 beschließt der Kreistag des Werra-Meißner-Kreises in einer Marathonsitzung tiefgreifende Veränderungen in der Eschweger Schullandschaft. Voran gegangen waren intensive öffentliche Diskussionen um Schulsysteme und Schulstandorte in der Kreisstadt, in denen der Fortbestand der Eschweger Gymnasien in Frage gestellt wurde. Zur Frage „Gesamtschulen oder gegliederte Schulen“ findet der Kreistag eine Kompromisslösung: eine neue Gesamtschule (Gesamtschule am Fliederweg, später Anne-Frank-Schule) und eine Haupt-und Realschule (BGS) sowie ein Gymnasium. Das Schicksal der Leuchtbergschule, deren Klassen im August 1986 beginnen auszulaufen, bleibt der Friedrich-Wilhelm-Schule erspart. Das Förderstufenabschlussgesetz des Landes Hessen erzwingt aber von den Schulträgern die flächendeckende Einrichtung von Förderstufenklassen, die an die Grundschulen anzugliedern sind. Die Friedrich-Wilhelm-Schule verliert in diesem Zuge die Klassen 5 und 6 und schrumpft. Gott sei Dank hebt die Landesregierung die Entscheidungen zur Zwangsförderstufe nach weitreichenden Protesten auf, und im Schulbericht der „Alten Penne“, der Vereinszeitung der Vereinigung ehemaliger Friedrich-Wilhelm- Schüler, schreibt der seit 1981 im Amt befindliche Schulleiter Studiendirektor Herbert Fritsche voller Freude: “Wir haben wieder Sextaner!“ Gleich 149 quirlige Fünftklässler bringen zum Beginn des Schuljahres 1987/88 wieder Leben in die Gänge und auf den Schulhof. Die Schülerzahl steigt mit ihnen um ein Drittel auf 450. Das Angebot einer gymnasialen Eingangsklasse findet nach wie vor breites Interesse in der Elternschaft.

1990 Insgesamt 2000 Gäste kommen zu den einwöchigen Jubiläumsfeiern anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Friedrich-Wilhelm-Schule im Oktober 1990. Eingeleitet werden die Feierlichkeiten mit einem Festvortrag von Professor Klein, Marburg, der im Rahmen der Wintervortragsreihe der Historischen Gesellschaft über den Schulpatron und Namensgeber Kronprinz Friedrich Wilhelm spricht. Festbankett im Schlosshotel, Theaterabend und Konzertabend in der Aula, Festkommers der Ehemaligen sowie der Festakt in der Stadthalle mit Landesbischof Gernot Jung der als ehemaliger FWS-Schüler und Festredner über „Tradition im Umbruch“ referiert, setzen an jedem Tag der Jubiläumswoche unterschiedliche Akzente im Rückblick auf 150 Jahre Schulgeschichte. Höhepunkt der Veranstaltungen ist der Samstag Abend mit dem großen Fest in allen Räumen der Schule.

Zahlreiche während einer Projektwoche vorbereitete Attraktionen, von der Neandertalerhöhle bis zur Weinstube mit dem guten Friedrich-Wilhelm- Gymnasiums-Wein, begeistern die Besucher. Für die Ehemaligen, die in den 1960er Jahren die Schulbank drückten, war der erste Bühnenauftritt der legendären Schulband „The Fenchers“ nach Jahrzehnten das Highlight des Abends.

Noch heute erinnert – immer an Festtagen – die blau-weiße Fahne der FWS an das große Jubiläumsfest. Sie wurde von der Ehemaligen-Vereinigung zu diesem Anlass gestiftet und am 22.10.1990 vom Hausmeister Peter Moser erstmals gehisst.

1991 Im November 1989 fällt nicht nur die Mauer in Berlin, sondern es fallen auch die Grenzzäune, die entlang der hessisch-thüringischen Grenze die Kreis- Landes- und Bundesstraßen unterbrochen hatten. Am 12. November wird bei Katharinenberg die Bundesstraße von Wanfried nach Mühlhausen wieder freigegeben. Tausende Thüringer strömen zu Besuchen in den Westen und „nun wächst zusammen, was zusammen gehört“. Bereits am 22.Dezember 1989 besiegeln Eschwege und Mühlhausen als erste deutsche Städte eine deutsch- deutsche ost-west-Städtepartnerschaft.

Auch die Friedrich-Wilhelm-Schule knüpft 1990 erste Kontakte mit der Mühlhäuser Georgi-Schule, die in den folgenden Jahren ausgebaut werden. Gemeinsame Unternehmungen der Kollegien, gegenseitige Besuche, die Unterstützung mit Lehrbüchern und Unterrichtsmaterial und gemeinsame Schülerprojekte sind die inhaltlichen Schwerpunkte der Partnerschaft, die am 11. Juni 1992 vom Leiter der FWS Herbert Fritsche und dem Schulleiter der Georgi- Schule, Herrn Klaus Thäle, mit dem Austausch der Partnerschaftsurkunden offiziell bestätigt wird.

Die Verbindung von Eschwege und damit auch der Friedrich-Wilhelm-Schule mit Thüringen hat eine lange Tradition. Thüringer Schüler gab es seit den frühen Tagen der Friedrich- Wilhelm-Schule. Das Schülereingangsbuch verzeichnet den Eintritt des Schülers Julius Friedrich Bickel aus.

Treffurth zu Ostern 1868 als ersten einer langen Reihe. Bis 1950 konnten Schüler die Zonengrenze zum Schulbesuch in Eschwege überqueren. Der 1935 in Berlin geborene und am 18.4.1950 in die OIIIa eingeschulte Klaus Boshammer ist bis zur Wiedervereinigung der zunächst letzte. Er verlässt die Schule bereits wieder am 28.8.1950. In der Spalte Bemerkungen des Schülereingangsbuchs heißt es: „muss zurück auf Schule Treffurt“.

Zum Schuljahr 1991/92 gibt es wieder Friedrich-Wilhelm-Schüler mit der Heimatsadresse Treffurt, Großburschla, Volkerode und Falken, ganz so wie früher. Ein Jahr später erreicht die Gesamtzahl der Thüringer annähernd Klassenstärke.

Nach der Wiedereinführung des Gymnasiums in Thüringen sind es die Gymnasien in Lengenfeld unterm Stein und in Eisenach, die die Schüler aus den Ortschaften entlang der Grenze zu Hessen aufnehmen, so dass im Schuljahr 2014/15 lediglich zwei Thüringer Schüler die Friedrich-Wilhelm-Schule besuchen

Teil 4: Die FWS im 21. Jahrhundert

2004 Von der Einweihung des neuen Schulgebäudes im Jahre 1911 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war das Raumangebot immer ausreichend Die Schülerzahl überschritt nur für kurze Zeit die 400. In den fünf Jahrzehnten nach dem Krieg aber zieht sich das Stichwort „Raumnot“ mit erschreckender Kontinuität durch fast alle Schulberichte.

Mit der zeitweiligen Auslagerung von Klassen in die katholische Volksschule gegenüber oder in die etwas weiter entfernt liegende Struthschule, der Einrichtung von Wanderklassen und der Nutzung sprichwörtlich jeder Besenkammer für Unterrichtszwecke bemühen sich die Schulleitungen um praktikable Lösungen. Zunächst die Stadt Eschwege, später der Werra-Meißner- Kreis als Schulträger schaffen durch bauliche Maßnahmen vorübergehende Linderung. Schon 1962 werden die Hausmeisterloge zur Arbeitsbücherei umgewandelt, der Uhrenraum zum Elternsprechzimmer und das Stadtarchiv unter dem Dachboden untergebracht. 1965 wird auf dem Schulhof Richtung Goethestraße ein Pavillon für zwei Klassen aufgestellt, dennoch gibt es weiterhin Ausquartierungen und Wanderklassen. Nachdem im Jahr 1970 die Schulträgerschaft von der

Stadt auf den Kreis übergegangen ist, wird 1971 der zur Friedrich- Wilhelm-Straße ragende Seitenflügel verlängert, wodurch vier zusätzliche Klassenräume gewonnen werden. Die Idee des auf Säulen stehenden Anbaus wird ausdrücklich gelobt, „da dieser den Schulhof nicht eingeengt und

zugleich
eine Teilüberdachung des
 Pausenhofs ermöglicht“.
Besonders im Fachbereich
Sport sind aber wegen des eingeschränkten Raumangebots weiterhin kreative Lösungen gefragt. Der Turnunterricht der Mädchen findet zeitweise in der Aula statt. Trotz Abtrennung der Oberstufe sorgen Mitte der 1970er Jahre die geburtenstarken Jahrgänge für Raummangel und in den Räumen für Platzmangel. Die 18 Klassenräume, die von 20 Klassen genutzt werden müssen, sind im Durchschnitt von 30,8 Schülern belegt, in den fünften Klassen sogar mit 38.

1978 wird an der Nordseite der Turnhalle zur Bahnhofstraße ein bereits mehrmals hinausgezögerter

Anbau mit Umkleide- und Sanitärräumen für Mädchen und Jungen errichtet. Die bisher als Umkleideraum verwendete Empore der Turnhalle bietet nun Platz für eine Schülerbibliothek, einen Sanitätsraum und einen Raum für Vervielfältigungs- geräte. Die Treppe des direkten Zugangs zur Turnhalle aus dem Foyer heraus wird mit einer Betondecke überzogen und der Wandbogen zugemauert. Dadurch entsteht ein Elternberatungs- und Besprechungszimmer.

Zwei Klassenräume wachsen sozusagen aus dem Schulhof, als im Jahr 1986 im Zuge der Umbauten für Brandschutzmaßnahmen die Pfeiler des 1971 errichteten Anbaus ummauert
werden, etliche weitere durch den Ausbau des Dachbodens zum dritten Stockwerk. Mit 733 Schülern in 28
Klassen wird zur
Jahrtausendwende ein
neuer Höchststand der
Schülerzahl erreicht,
dem der Schulträger
durch Errichtung eines
„Containerdorfes“ mit
fünf Klassenräumen auf
dem Bolzplatz neben
der Turnhalle Rechnung
trägt. Der Wunsch nach
einer festen baulichen
Erweiterung des
Schulhauses geht dann im Jahr 2004 mit dem vor den Hauptflügel in der Bahnhofstraße besetzten Glasanbau in Erfüllung und prägt seitdem die Schulansicht von der Stadtseite.

2015 Bereits vor der sensationellen Nachricht vom Darmstädter Parteitag der CDU im Juni 2012, bei dem Ministerpräsident Volker Bouffier dem neuen möglichen Koalitionspartner, den Grünen, die Aufhebung der von diesen in den vergangenen Jahren heftig kritisierten Verkürzung der gymnasialen Schulzeit G8 als Morgengabe anbietet, gelingt es der Friedrich- Wilhelm-Schule, den Abwärtstrend der Anmeldungen in die 5.Klasse zu stoppen. Tägliche Hausaufgabenbetreuung bis 15:00 Uhr, Förderkurse in allen Hauptfächern, Rhythmisierung der Unterrichtsstunden, Methodencurriculum, das Konzept des begleiteten Übergangs von der Klasse 4 der Grundschule in die gymnasiale Klasse 5 und nicht zuletzt die freundliche Ausgestaltung des Schulgebäudes sorgen dafür, dass nach der im Schuljahr 2011/12 mit 52 Schülerinnen und Schülern niedrigsten Anmeldezahl der Nachkriegszeit im Jahr darauf wieder 86 Elternhäuser die FWS als weiterführende Schule für ihre Kinder wählen. „G8 hat viele Gymnasien aus dem Dornröschenschlaf wachgerüttelt“, lautete die Aussage von Ministerialrat Friedrich Janko vom Hessischen Kultusministerium anlässlich einer Schulleiterdienstversammlung im Staatlichen Schulamt in Bebra.

Dieser Satz, der damals die positiven Auswirkungen von G8 unterstreichen sollte, wurde von etlichen Schulleitern sehr kritisch aufgenommen. Aus heutiger Sicht erweist er sich aber gerade für die Friedrich-Wilhelm-Schule als sehr zutreffend. Die als Reaktion auf die nachteilige Wirkung der Schulzeitverkürzung vorgenommenen schulorganisatorischen und pädagogisch-didaktischen Veränderungen sind nach Rückkehr zu G9 mit ursächlich dafür, dass seit drei Jahren die Aufnahmezahlen gegen dendemographischen Trend am Schulstandort wachsen. So besteht die berechtigte Hoffnung, dass auch zum 200. Jubiläum der Schule im Jahr 2040 Direktor Stendells eingangs zitiertes Urteil über die Friedrich-Wilhelm-Schule noch Bestand haben wird: stetig fortschreitend hat sie sich weiterentwickelt.